Vierundzwanzig Stunden vor dem Spiel bekannte Atletico-Präsident Jose Luis Bas: „Wir waren bereits in ganz Europa, nirgends jedoch sind wir so herzlich, großartig und mit offenen Armen empfangen worden wie in Nürnberg."
Der Beifall, der den Spaniern beim Einlaufen ins Nürnberger Stadion galt, war nicht minder herzlich. 46 000 Fußballfreunde wollten die vielgerühmte Genialität des iberischen Fußballs kennenlernen. Die Madrilenen erfüllten zunächst auch alle Erwartungen. Der deutsche Pokalmeister schien, wie von spanischen Experten prophezeit, ein „willkommenes Fressen" für die südländischen Fußballindividualisten zu werden. Doch der spanische Fußballzauber währte nicht lange. Als die Gäste erkannten, daß die Nürnberger nicht so leicht aus den Angeln zu heben waren, präsentierten sie dem Publikum faulen Zauber. Die alte Fußballhochburg Nürnberg-Fürth hat dergleichen noch nie gesehen. Die Fußball-Genialität der Spanier bestand darin, das Teamwork der Deutschen laufend mit unsauberen Mitteln zu stören und zu bremsen. Die Madrilenen beherrschten jene fragwürdige Kunst so meisterhaft, daß wohl angenommen werden muß, auch diese Art, Fußball zu spielen, gehört zum Trainingsprogramm des AC Madrid.
In Nürnberg begegneten sich spielerisch und sportlich zwei Welten. Das Motto der Spanier lautete: „Der Erfolg rechtfertigt alle Mittel!"
Die Gäste markierten den „toten Mann", sobald das Kombinationsspiel des Clubs zu laufen begann, sie verlegten Einwürfe bewußt nach vorn, um zurückgepfiffen zu werden und Zeit zu schinden, sie bedachten die Clubspieler mit wüsten Drohungen, sie kündigten an, Heinz Strehl in Madrid die Zähne einzuschlagen, sie arbeiteten mit versteckten Fouls, kurz, sie taten alles, was sportlichem Anstand Hohn sprach.
Wer hätte das erwartet? Am allerwenigsten Schiedsrichter Kingston aus Wales. Der lautere Brite war bislang anderen Fußball gewöhnt und hätte beinahe Schiffbruch erlitten.
Nur ein Spieler im rotweißgestreiften Jersey des AC Madrid hatte nichts mit der üblen Genialität seiner Mannschaftskameraden gemein. Es war der dunkelhäutige Rechtsaußen Jones. Der schwarze Fußballartist stand turmhoch über ihnen.
Kurz vor 17 Uhr betraten beide Mannschaften das Spielfeld. Die Spanier gewannen die Seitenwahl. Die ersten Minuten gehörten dem Club. Doch bald hatten sich die Gäste gefunden. Mehrmals zog Linksaußen Collar an Leupold vorbei und als in der 6. Minute der spanische Mannschaftskapitän dem jungen Clubverteidiger erneut ein Schnippchen schlug, schien der Führungstreffer für den AC Madrid zu fallen. Collar flankte zur Mitte, Amador sprang täuschend über den Ball, aber Jayo jagte das Leder an den Pfosten. Gleich darauf spielte der spanische „Käpt'n" den Verletzten. Dann begann Ramiro zu humpeln. In der 17. Minute hatte Heinz Strehl eine gute Möglichkeit. Doch der Clubmittelstürmer zögerte und wurde im letzten Augenblick von Griffa abgedrängt. Unmittelbar danach sank wieder ein Spanier, ohne attackiert zu werden, zu Boden. Diese Mätzchen häuften sich. Kein Wunder, daß der Club nicht wie gewohnt auftrumpfen konnte. Dennoch bemühten sich die Nürnberger unentwegt, ins Spiel zu kommen. Aber in der 23. Minute unterlief Leupold ein krasser Fehler. Jones kam in Ballbesitz und der hervorragende Rechtsaußen feuerte aus haiblinker Position aufs Clubtor. Der Flug des Leders glich einem Strich. Der Ball prallte vom Pfosten ins Netz, für Wabra gab es nichts zu halten. Dieser Treffer war halb geschenkt und die Madrilenen freuten sich königlich. Sollte das schon die Entscheidung sein? Wenige Minuten später hatte der schußgewaltige Jones das Leder erneut vor den Füßen, doch dieses Mal sauste seine Bombe knapp über den Querbalken. Gleich darauf wurde Strehl bei einem Gegenangriff gefoult. Scharfschütze Flachenecker trat den fälligen Freistoß, aber Madinabeytia konnte das Geschoß zur Ecke lenken. Engler legte sich das Leder zurecht, flankte und Tasso Wild dirigierte mit der Stirn den Ball ins Netz.
Nun streifte der Club alle Hemmungen ab. Tasso Wild traf mit einem tollen Schuß nur das Außennetz. Dann hatte Engler eine Chance, aber der schwarze Peter ließ den Ball vom Fuß springen. Die Spanier versuchten immer wieder, Zeit zu schinden. Das Publikum reagierte wütend. Fast drei Minuten ließ SR Kingston nachspielen, ehe er zur Halbzeit pfiff.
Nach Seitenwechsel übernahm der Club sofort das Kommando. Ein Weitschuß von Flachenecker zischte am spanischen Tor vorbei. Dann stieg Griffa gegen Strehl rücksichtslos ein. Die Folge war, daß sich der spanische Stopper selbst verletzte. Der Atletico-Masseur rannte einmal mehr aufs Spielfeld, machte Griffa wieder fit und die Partie ging weiter. Doch halt, schon lag der Spanier abermals auf dem Rasen und ein erfolgversprechender Clubangriff war unterbunden. In der 52. Minute ließ Strehl zwei Gegner stehen, gab zu Wild, aber der Clubhalblinke schoß überhastet daneben. Je mehr der Club drängte, desto öfter markierten die Madrilenen den toten Mann. Besonders Griffa unterbrach dauernd das Spiel. Dennoch blieben die Gäste gefährlich. Einmal angelte sich Wabra einen hohen Ball, dann stoppte Wenauer den durchgebrochenen Amador. Doch der Club ließ nicht mehr locker, das Führungstor der Nürnberger lag in der Luft. In der 63. Minute knallte Flachenecker aufs Tor. Madinabeytia hechtete in die bedrohte Ecke, der Ball war so scharf, daß er den Händen des spanischen Keepers entglitt und ins Netz zu fallen schien. Wie ein Fisch schnellte der Spanier nochmals hoch und schlug mit dem Fuß die Kugel weg. Und wieder rollte ein Clubangriff vor das Gästetor. Schon jubelten die Zuschauer, aber Wilds phantastischer Fallrückzieher ging am Kasten vorbei. Bei einem Gegenangriff Atleticos gelang Jones beinahe das l :2. Das hätte gerade noch gefehlt. Die 70. Spielminute brach an. Tasso Wild erhielt einen Musterpaß. Der Clubhalblinke schien zu überlegen, ob er davonziehen oder schießen sollte. Plötzlich entschloß sich Tasso zum Schuß und ehe Freund und Feind so recht mitkamen, was geschah, landete der Ball genau im Torkreuz. 46 000 Fußballfreunde gerieten vor Begeisterung schier aus dem Häuschen.
Die Madrilenen suchten nunmehr ihr Heil nur noch in unsauberen Mätzchen. In der 76. Minute zwang der vitale Gustl Flachenecker den spanischen Schlußmann erneut zu einer Glanzparade. Wieder vermochte Madinabeytia den Ball nicht festzuhalten, aber ach, keiner der Clubstürmer hatte nachgesetzt. Eine sichere Chance zum 3:1 war dahin. Wenig später beging Madinabeytia ein grobes Foul an Strehl. Heinz stürzte zu Boden. Die empörten Zuschauer waren nicht mehr zu halten. Sie drangen aufs Spielfeld ein, ein Spielabbruch drohte. SR Kingston ließ beide Spielführer kommen. Die Gemüter beruhigten sich wieder. Doch schon kochte die Volksseele erneut. Stefan Reisch wurde von einem Spanier niedergeschlagen. Dem Sünder passierte nichts, denn Mr. Kingston hatte seine Augen wo anders. Kurz vor Schluß hatte Atletico noch eine Ausgleichsmöglichkeit, aber Collar schoß knapp daneben.
Obwohl die Spanier in der 2. Halbzeit ständig Zeit geschunden hatten, ließ SR Kingston nicht nachspielen. Er atmete auf, als die zweiten 45 Minuten um waren. Pfiffe und Pfui-Rufe begleiteten die Madrilenen in die Kabinen.
Sollten ihre Untugenden Schule machen, dann ist es Zeit zu fragen: 𠇯ußball, wohin rollst du?"
Der Club vermochte aufgrund der unfairen Spielweise der Madrilenen nicht zu seiner besten Form aufzulaufen. Trotzdem war der Sieg des deutschen Pokalmeisters mehr als verdient.
Wenauer, Flachenecker, Reisch und Wild ragten besonders hervor, auch Maxl Morlock und Strehl zählten zu den Stützen des 1. FCN. Alle anderen trugen gleichfalls dazu bei, daß der AC Madrid nach 15 Europaspielen erstmals besiegt wurde.
A. W.