Eine halbe Stunde lang war „rotschwarz" Trumpf, eine halbe Stunde lang bestimmten nicht nur Nürnberger Kraft und Einsatzfreude, sondern auch Nürnberger Fußballwitz das Spielgeschehen, doch just in diesen dreißig Minuten wurde offenbar, daß der Clubangriff viel von seiner vorjährigen Gefährlichkeit eingebüßt hat. Glasklare und zum Teil fein herausgespielte Chancen wurden versiebt. Mangelnde Konzentration und das Fehlen einer echten Sturmspitze verhinderten eine durchaus mögliche 3:0-Führung.
Schade, daß lediglich Georg Volkert in den Spuren des Vorjahrs zu wandeln vermochte, schade, daß seine Kameraden weitaus wirkungsloser blieben, denn die Chance bereits in Nürnberg mehr als die Hälfte des in die nächste Europa-Pokalrunde führenden Wegs zurückzulegen, war gegeben. Nun aber ist dieses Ziel in weite Ferne gerückt. Weit, weil es den Holländern wider Erwarten auch noch gelang, zehn Minuten vor dem Schlußpfiff auszugleichen. Das bedeutet, daß der Club in Amsterdam gewinnen oder zumindest ein torreicheres Remis erzielen muß, um Ajax auszubooten, da laut Reglement bei Punkt- und Torgleichheit Auswärtstore doppelt zählen. Ein schwieriges Unterfangen, zumal Ajax europäische Spitzenklasse verkörpert und über schwer zu bremsende Stürmer verfügt. Vor allem L. Müller und Hansen, die mit Cruijff und Keizer ihre liebe Not hatten, können davon ein Lied singen.
Leider erlosch das brillante Nürnberger Fußballfeuerwerk nach etwa 30 Minuten. Kein Wunder, denn das 1:0 war zu dürftig, um dem Clubspiel weiteren Auftrieb zu verleihen und die anfänglich schwankende Ajax-Abwehr zu entnerven. Hinzu kam, daß Nürnbergs Mittelfeldspieler mit Ausnahme von Zaczyk immer schwächer wurden. Doch zunächst sei geschildert, was sich in der ersten halben Stunde tat.
Bereits in der 6. Minute - ein Weitschuß von Küppers strich kurz zuvor knapp am Ziel vorbei - klingelte es im Amsterdamer Gehäuse. Zaczyk hatte geflankt, Strehl das Leder zu Volkert verlängert und dessen Schuß wurde von einem holländischen Spider ins eigene Netz abgefälscht. Ein zeitlich wunschgemäßes Tor also, aber wer da glaubte, daß dieser Treffer die defensiv eingestellten Niederländer zu einer Flucht nach vorn veranlassen würde, sah sich getäuscht. Dennoch hätte schon drei Minuten später das 2:0 fallen können, als Strehl vom Ajax-Schlußmann Bals nur noch in letzter Sekunde gestoppt werden konnte. Wenig später wartete H. Müller nach einem Musterpaß von Küppers zu lange mit dem Torschuß und kurz darauf setzte der Clubhalblinke einen gleichfalls von Küppers maßgerecht servierten Ball neben den Pfosten. Dann flog ein Volkert-Geschoß haarscharf am Torkreuz vorbei. In der 21. Minute versetzte der blendend aufgelegte Nürnberger Linksaußen nicht weniger als drei Gegner und niemand zweifelte, daß das längst in der Luft hängende 2:0 perfekt werden würde. Doch der völlig freistehende H. Müller vermochte Volkers Rückpaß nicht zu verwerten.
Damit war die zwar klarste, aber keineswegs letzte Nürnberger Chance vertan. Denn ehe der Amsterdamer Linksaußen Keizer nach einem blitzschnellen Gegenstoß nur den Pfosten traf, hatte Strehl eine weitere Tormöglichkeit. Dann aber wurden die Holländer munterer. Vornehmlich ihre exzellenten Dribbler Cruijff, Keizer ließen die Clubabwehr zuweilen schlecht aussehen.
Nach der Pause schien es, als ob der Club den gerissenen Faden wieder knüpfen könnte, Doch seine Bemühungen glichen einem Strohfeuer. Gleich nach Wiederbeginn traf Strehl nach einer Kopfballvorlage von Küppers nur das Außennetz, dann aber kamen die Gäste immer besser zum Zug. In der 52. Min. schoß Keizer einen Freistoß lediglich um Zentimeter über das Ziel. Kurz darauf leistete sich L. Müller zwei böse Fouls. Zum Glück ahndete der Unparteiische beide Vergehen nur mit einer Verwarnung. Bereits in der 64. Minute roch es nach dem 1:1, als Wenauer nach einem Eckball gerade noch auf der Linie klären konnte.
Sieben Minuten später bot sich Küppers, nachdem Volkert geflankt hatte, eine halbwegs reelle Tormöglichkeit, aber einmal mehr wurde nichts daraus.
Schon rechneten die 52 000 Besucher mit einem knappen Clubsieg, als in der 80. Minute Cruijff eine von Rynio falsch berechnete Keizer-Flanke verwandeln konnte. Während alle Clubfreunde erstarrten, jubelte der Ajax-Anhang. Für ihn kam dieses l :1 einem Sieg gleich.
Trotzdem, „noch ist Polen nicht verloren!" Der Club vollbrachte schon manches „Wunder".
Hoffen wir auf ein neues in Amsterdam.
A. W.