Wabra hatte die Nervosität vom Samstag zuvor noch nicht überwunden, das l :0 für die Kickers war ein Geschenk. Entscheidender als der Fehler - so etwas passiert nun einmal gelegentlich - war aber der Umstand, daß sich die ganze Mannschaft von der Nervosität anstecken ließ. Gegen die vom Führungstreffer befeuerte Schnelligkeit der Gastgeber setzte man immer wieder ein zu breit angelegtes Spiel, in dem aus dem Mittelfeld viel zu wenig Druck kam.
Strehl arbeitete praktisch als Mittelstürmer, Beer als Außen, während H. Müller im Mittelfeld werkelte; aber dem Dreimännersturm fehlte die entschlossene Spitze, der Mann, der sich auch im Getümmel einer verstärkten Abwehr durchzusetzen vermocht hätte. Daß es die Clubmannschaft nach der Pause, als die Offenbacher langsam, aber sicher müde zu werden begannen, nicht vermochte, das Blatt noch zu wenden, eröffnet keine erfreulichen Perspektiven. Daß Rynio, der ein paar tolle Schüsse prachtvoll parierte (weil unsere Verteidiger von den schnellen Außen der Gäste mehr als einmal überspielt wurden), dann ein ähnlicher Fehler unterlief wie zu Beginn Wabra, paßte in den Gesamtrahmen, in dem einfach nichts klappen wollte.
Nun kassierten wir freilich gegen Alemannia Aachen und gegen Offenbach 6 Treffer, die sämtlich vermeidbar waren und von denen kein einziger zwingend fiel. Soviel Pech auf einmal wird es nicht immer geben. Aber dieser Feststellung steht leider die Tatsache gegenüber, daß wir einfach zu wenig Gegentreffer erzielten. Ein Selbsttor und ein Freistoßtreffer gegen Gegner, wie sie uns in den beiden ersten Bundesligaspielen gegenüberstanden, sind zu wenig! Man kann also nicht die ganze Schuld den Torhütern und den Verteidigern in die Schuhe schieben.
Dieser Bericht wurde am Tag nach dem Spiel in Offenbach niedergeschrieben. Nach zwei Bundesligaspielen kann man selbstverständlich keine Bilanz ziehen, nicht einmal eine Teilbilanz. Aber bei der Unruhe, die einen Teil unserer Anhänger befallen hat, muß man doch wohl versuchen, die Situation nüchtern, ohne Beschönigung und ohne Untergangsstimmung zu analysieren. Wir wissen, daß immer wieder der Name Brungs in die Debatte geworfen wird und dem Verfasser dieses Berichts erscheint das keineswegs als erstaunlich, weil er selbst fast ein wenig blaß wurde, als ihn im Urlaub die Nachricht vom Weggang des Rekordschützen überraschte. Man kann die Abwanderung nicht gut als einen Entschluß deklarieren, mit dem man dem Franz eine (finanzielle) Wohltat erweisen wollte; denn einmal ist der Profifußball keine Caritas, zum anderen lebt der Club ja auch nicht gerade im Armenhaus. Auch die Begründung, in zwei Jahren hätte man für Brungs wohl keinen Erlös mehr erzielt, hinkt; denn dieser Erlös kann sich, wenn zu wenig Tore erzielt werden, und zuviele Punkte verlorengehen, bald als geringer erweisen, als der Ausfall in den Stadionkassen. Dagegen kann man wohl damit argumentieren, daß Brungs, wenn zur Zeit auch noch voll leistungsfähig, im Dezember 32 Jahre alt wird. Wenn man dann weiter feststellt, daß es in der Bundesliga noch keiner Mannschaft gelang, zweimal hintereinander Meister zu werden, dann könnte man vielleicht erklären, es sei der rechte Augenblick gekommen, mit der Verjüngung der Mannschaft zu beginnen, deren ältester Feldspieler Brungs war.
Wie dem auch sei, nachbeten ist zwecklos. Brungs ist abgewandert und es bleibt Theorie, zu erörtern, wie die Dinge mit ihm gelaufen wären. Geht man von dieser unabänderlichen Voraussetzung aus, dann müssen wir aber auch Niederlagen ertragen können und sollten die Ziele nicht zu hoch stecken. Denn es handelt sich nicht allein darum, einen Mittelstürmer durch einen anderen zu ersetzen, sondern um einen damit im Zusammenhang stehenden Umbau, der Zeit erfordert. Wenn man die Sturmführung dem hochtalentierten Beer anvertraute, dann konnte niemand erwarten, daß der Anschluß aus der Amateurliga an die Anforderungen der Bundesliga über Nacht gelingt. Wer seine bergsteigerischen Fähigkeiten bisher am Moritzberg erprobte, dem wird man nicht auf Anhieb die Eroberung des Montblanc zumuten dürfen.
Nun könnte man noch nicht von einem „Umbau" sprechen, wenn ein Spieler durch einen anderen abgelöst wird. Aber eben diese Ablösung hat weitere Konsequenzen. Es gibt zwei Arten von Außenstürmern: solche, die nach innen kurven und aufs Tor knallen (Sutor war bei uns von dieser Art); und solche, die mit Technik und Schnelligkeit am besten an der Seitenlinie arbeiten und die Mitte mit brauchbaren Flanken füttern (Strobel am anderen Flügel der alten Clubmannschaft war so). Cebinac ist ein Außenstürmer der zweiten Art. Außenstürmer, die beide Fähigkeiten gleichermaßen verbinden, sind selten, sie sind dann schon beinahe Supermänner. Cebinac's Methode blieb fruchtbar, solange ein Teil seiner Flankenbälle innen mit dem Kopf verwertet wurde. Da dies zur Zeit nicht der Fall ist, hat sich Cebinac (unter den gegebenen Verhältnissen richtigerweise) angewöhnt, einen Teil seiner Flankenbälle halbhoch oder flach nach innen zu geben (wobei ihnen ganz natürlicherweise mehr Hindernisse im Wege stehen als den hohen Bällen. In Offenbach steigerte er diese Wandlung so sehr, daß er meist selbst innen spielte. Damit fehlte - neben dem zur Zeit kaum zu ersetzenden Volkert - praktisch auch der zweite Flügelstürmer. Und wer kommt heute schon nur in der Mitte durch! Natürlich ist die Verhaltensweise Cebinacs ein wenig mit dadurch bestimmt, daß er „Angst" um die Verwertung seiner Flankenbälle hat. Aber zweckdienlicher wird sie damit auch nicht.
Der langen Rede kurzer Sinn: Für Max Merkel ergibt sich die Notwendigkeit einer solch umfassenden Umstrukturierung, daß man mit einer längeren Zeit bis zu ihrem Gelingen rechnen muß. Wer die Niedergeschlagenheit unserer Mannschaft nach dem Spiel in Offenbach miterlebte, weiß, daß sie darauf brennt, wieder zu einem schlagkräftigen Instrument zu werden. Eine gewisse Steigerung sollte mit der Rückkehr Volkerts verzeichnet werden. Aber damit ist das Problem nicht gelöst. An seiner Lösung aber arbeiten wir nicht mit, wenn wir der Mannschaft mit Johlen und Pfeifen die Nerven töten, sondern nur dann, wenn wir sie durch zahlreichen Besuch und Aufmunterung, auch wenn es einmal schief geht, befeuern. In guten Tagen ist es leicht, die Clubfahne zu schwingen. Treue erweist sich erst, wenn es durch Durststrecken geht.
K. Brömse