Dieses erste Spiel des VI. Bundesligajahres mußte ich erst einmal eine Nacht überschlafen. Die Feder sträubte sich und kratzte widerwärtig gegen das, was niederzuschreiben ihr zugemutet wurde. Dank dir, Feder, das war nett von dir. Du gabst mir Zeit, das „Unfaßbare" inzwischen - gleich anderen Augenzeugen Nürnberger Parteifärbung - meinem strapazierten Nervenkostüm zu assimilieren, mich in stoisch beherrschtes Gefühlsgleichgewicht zurückzuschaukeln und den verpfuschten Sonntag doch wenigstens wie einen ganz gewöhnlichen Werkeltag zu erleben.
Sangen da nicht alle um die fünf Türme herum ein Unisono für den noch frisch nach dem Backofen riechenden deutschen Fußballmeister? Und dann dieser K. o. - mitten ins Gesicht! Au Backe - die sitzt!
Doch - zur Sache, Schätzchen! Also: Alemannia Aachen hatte da nicht lange vor der Meisterkrönung dem ewigen Spitzenreiter ein 2:0 verpaßt. Nun ja, das war dort im „wilden Westen". Aber hier in des Meisters Manege? Wer wird denn da? MM hatte es wohl mit Vorahnungen, als er diese Aachener gegen „Ajax" stürmen sah, aber - wer dachte schon im Ernst an so was? Vier Tore hintereinander! Und das, obwohl - 17:3 Ecken bestätigen es - die Clubelf fast ständig das Spielgeschehen bestimmte und viele Tormöglichkeiten herausspielte. Da paßte der Roland bei einem 30-m-Schuß nicht auf und - schon war's passiert! Kann vorkommen, aber daß eine Meistermannschaft dann so aus der Fasson kommt, das stand nicht im Programm! Wäre nicht Wenauer gewesen, oft auch noch sein linker Nachbar, ich hätte faktisch an meiner Brille gezweifelt. Wer überhaupt wußte da noch von Manndeckung, von Direktabspiel, von Weitvorlagen? Dafür gab es fürs gleiche Geld allzuoft „Kleinklein", allzuviel „Innendurch" und gar keine Schußstiefel, wenigstens keine glückhaften. Hinten bei der Abwehr gingen Sicherheit und gegenseitiges Verständnis flöten, bei dem einen mehr, beim anderen weniger. Es soll nicht in Wunden gebohrt werden, die schon genug Schmerzen verursachten. Schwamm drüber! Es war ein bitterböser Tag, und die Mannschaft vom Glück gänzlich in Stich gelassen.
Die Kaiserstadt ist mit Alemannias Traumsieg in aller Munde. Diese Elf spielte, sobald sie angriff - aber das geschah gar nicht oft! - genau das Spiel, das MM von seinen Nürnbergern verlangt und nach der vorwöchigen Kostprobe erwarten durfte: schnell, ohne Schnörkel, mit weiten Vorlagen für spritzige, schußfreudige Stürmer, die ihre Schüsse auch rechtzeitig anbrachten, Kaum einmal sah man einen hemmenden Rückpaß, oft dafür sofortige Weitergabe an die freilaufenden, von unserer Deckung unbewacht gelassenen oder ihr davongelaufenen Stürmer.
Das Clubspiel blieb technisch überlegen, doch oft umständlich und im Innensturm in entscheidenden Augenblicken zu langsam. Cebi rannte und gab viele Flanken, nicht immer glücklich. Der Heinz auf LA war oft nicht dort, wo ihn Weitvorlagen hätten erreichen können. Weil die Halbstürmer in der drangvollen Enge der Aachener Spielplatzhälfte nicht in Form kamen, machten sie dem Youngster in der Sturmmitte die Aufgabe noch schwerer, als sie an sich schon war, denn Alemannias Verteidigung spielte stark, schnell und hart. Sie gewann souveräne Ruhe durch ihren blendend aufgelegten Torwart. Ist ja eine alte Erfahrung, daß ein stark beanspruchter Schlußmann zur Überform emporwächst.
Wie immer, zeigte sich nach den vorbereitenden Privatspielen, daß in der Bundesliga ein weit schärferer Wind weht, die Gegner gleichwertig sind und demonstriert wird, daß jede
Mannschaft nicht nur siegen will, sondern auch siegen kann, Aus dem Mißerfolg sind Lehren zu ziehen. Denken wir schließlich aber auch zurück, dass gerade die Abreibung in Mönchengladbach (3:8) und die zu Hause durch Schalke (0:4) in den Vorjahren zugleich eine Wende anbahnten.
Und hoffen wir, daß dieser schwarze Samstag sich ähnlich auswirken möge! Dann können wir vielleicht dem Schicksal noch dankbar sein, daß die Lehren so frühzeitig erteilt wurden.
Pelzner