Seitdem am 1.Juni 1906 mit Sunderland zum ersten Male eine Englische Spitzenmannschaft auf unserem Platz an der Ziegelgasse aufkreuzte - nur noch die Großväter zehren von dieser Erinnerung - hat das internationale Privatspiel zwischen Meistermannschaften eine wichtige Mission erfüllt, nicht nur als Lehrspiel und Werbung in den ersten Jahrzehnten des Sportverkehrs, mehr noch in der Folge als Erfahrungsaustausch und: Prüfmaßstab des Könnens. Der l. FCN hat dieser Funktion konsequent größte Bedeutung zugemessen, er hat daher auch seit der Aufnahme des internationalen Kräftevergleiches - sogar auch als seine Leistungshöhe zeitweise es nicht mehr rechtfertigte - im Ausland unter allen deutschen Vereinen doch den besten Ruf behalten.
27 Jahre hat es gebraucht, bis dem Club, kurz vor seiner fünften Deutschen Meisterschaft, der erste Sieg über einen der englischen Spitzenreiter gelang. Es war am denkwürdigen Himmelfahrtstag 1927 und sogar zwischen zwei schweren und dennoch siegreichen Meisterschaftsvorrunden gegen FC Burnley mit 4:2 - der bis dorthin größte Cluberfolg außerhalb der Deutschen Meisterschaft.
Im Jahr darauf kam dann West Ham United erstmalig nach dem Zabo und siegte nach einem nicht ganz befriedigenden Spielverlauf 3:2. Der in der Festschrift von 1940 verzeichnete Clubsieg fand nicht statt. Die Berichtigung dieser Falschmeldung aber vollzog sich mit dem heutigen.
Und diesmal erwiesen sich die Gäste aus dem ruhmbeladenen Fußballtraumland als wahre und wirkliche englische Pokalmeister. Albions gefeierte Elf trat sogar in der gleichen Aufstellung an wie im Wemblystadion. So ernst nahmen die Königspokalgewinner den Club. Sie ehrten sich und uns damit und sie schufen so ihrerseits alle Voraussetzungen, um die Erwartungen der sehr kritischen und immer auch sehr skeptischen Nürnberger zu erfüllen,
Die Engländer also waren so gut wie ihr Ruf. Und das will etwas heißen, wenn man gelesen hat, was die Österreicher über den 3:0-Sieg gegen Austria berichtet hatten. Nicht die bald schon sprichwörtlich gewordene unerbittliche Härte der englischen Profis, die doch im Westen so groß Schule machte, wollten sie vorführen, sie bemühten sich um ein Meister- und Musterspiel, welchem Bemühen unsere Vertretung mit gutem Erfolge sich anschloß. Vor allem die erste Halbzeit verlief vorbildlich fair und das bei vollem kämpferischen Einsatz und höchstforcierter Schnelligkeit. Was an Schönheit im Kampfspiel Fußball möglich ist, was an Balltechnik und Körperbeherrschung das Können zur Kunst erhebt, was vor allem an „teamwork" sich erreichen läßt, das zeigten die Engländer. Sie übertrafen darin streckenweise die Unsrigen deutlich und wurden von dem sachverständigen und objektiven Publikum auf offener Szene mit Beifall belohnt. In einem aber - und zwar gerade dort, wo seit zwei Jahren die Achillesferse der Clubelf lag - wurden sie vom Clubangriff übertroffen: im Schußvermögen und in der Schußgewalt.
Es könnte für sie als Pech gewertet werden, daß Wabra in den heikelsten Situationen, selbst bei riskantem Eingreifen, den Ball noch in seine Fänge bekam, aber ihr eigener Tarsteher durfte seine Prachtleistung nicht minder durch Fortunas Mithilfe ergänzt sehen. Die Zusammenarbeit in allen Reihen war oft so bestechend und so reibungslos lief mitunter dieses Räderwerk, daß sie unserer noch im Aufbau befindliehen Elf damit ein Vorbild gezeigt haben. Sind wir von den athletisch durchgebildeten Profis gewohnt, daß sie jede Spielweise beherrschen, also auch das Kopfballspiel, so überraschte, wie betont flach sie spielten, ganz der ehedem als „schottischer Stil" auch in der Hochburg Nürnberg-Fürth heimisch gewordenen Manier gemäß. Vielleicht beeindruckte uns gerade damit ihr Spiel am nachhaltigsten. Wohl richteten die Zuschauer ihre kritischen Augen vor allem auf Byrne und Moore und sahen die Erwartungen erfüllt, doch auch keiner der übrigen 9 fiel irgendwie ab - eine famose Fußballmannschaft, von der wir noch manche Großtat zu hören bekommen müßten.
Wenn nun die Unsrigen sich dieser Formation als gleichwertig erwiesen dann beruht diese Einschätzung darauf, daß einige Ungleichheit in unserer Mannschaftsleistung durch den schon erwähnten Vorzug einer bislang selten erreichten Schußgewalt wieder wettgemacht wurde. Heiner Müller, Strehl, Reisch und Wild brillierten durch Kanonenschläge, die Erfolg verdient hätten. Die Neuzugänge haben die offensive Taktik verändert, der Club scheint sein Spiel früherer Jahre wiederzufinden, dessen Qualitätsleistung ja immer im Angriff lag. Mauertaktik war heuer zeitweise vonnöten, sie lag der Elf aber nie. Nunmehr beginnt sie - vor allem auf der rechten Seite - den Flügeleinsatz zu verstärken, auch ist durch häufigere direkte Ballweitergabe das Angriffsspiel schneller und flüssiger geworden. Der traditionelle Clubstil setzt als Vorbedingung, daß die Abwehr auf Draht ist. Diesmal nun hatte sie tatsächlich den englischen Meistersturm im Griff behalten, Entscheidend war dafür die klare Formverbesserung von Hilpert und Leupold. Ludwig Müller hat verstanden, daß es nicht seine Hauptaufgabe ist, Tore zu machen, sondern Tore zu verhindern. Daß der Steff, wenn er auf „Schau" verzichtet, seiner Mannschaft um ebensoviel dienlicher wird, als er an persönlicher Bewertung gewinnt, wissen wir von seiner Leistung in der Ländermannschaft. Bei der jetzt zur Verfügung stehenden Doppelbesetzung könnte, ja müßte die Läuferreihe für unsere Mannschaft wieder das Rückgrat werden, wie in früheren Jahren, als der Club seine Glanzzeiten erreichte. Da brillierten vor allem die Außenläufer durch zeitsparendes, sofortiges langes Zuspiel aus der Abwehr heraus, ehe der Gegner sich wieder formiert und auf Manndeckung umschaltet. Es ist wohl das Schwierigste, was es im Fußball überhaupt gibt und nur allererste Könner beherrschen es. Zusammen mit dem raumschaffenden Flügelwechsel beim Angriff ist das aber die einzige Taktik, durch die dem vielfach üblich gewordenen „Betonsystem" beizukommen ist.
Die Vorsaison ist beendet. Die Clubmannschaft ist im Kurswert gestiegen, ihr Selbstvertrauen wiederhergestellt. So erfreulich diese Feststellung ist, für die Bundesliga steht damit noch gar nichts fest. Übersteigerter Krafteinsatz, mitunter durch die Bezeichnung „Härte" beschönigt, statt als „Foulspiel" gebrandmarkt, hatte auf Kosten der Spielkunst den optischen Eindruck mancher Bundesligatreffen ruiniert. Droht gar der Wettbewerb zum Existenzkampf auszuarten, dann ist nicht sicher, ob auch immer dem Besseren der Erfolg blüht. Auch häßliche Erscheinungen von der Zuschauerkulisse her könnten den Ausgang der Spiele beeinflussen. Wir sollten daher unsere Erwartungen für die beginnende Spielsaison nicht zu hoch ansetzen. Vor allem bitten wir Mitglieder und Zuschauer, durch beherrschtes, einwandfreies Verhalten gegenüber Schiedsrichter und Spielpartner die schon einmal hochbelobigte Objektivität zu wahren und dem l. FCN keinen Schaden durch mangelnde Platzdisziplin zuzufügen.
Der Schock von Rosenheim ist überwunden. Das Spiel (lies: Bundesliga!) kann beginnen! Am Karteltisch tröstet der Spruch: „Wer das erste Spiel verlor, wird am End noch Millionor." Mit der nötigen Abwandlung gelte er für unsere Bundesligamannschaft als „Glückauf!" zum Spieljahr 1964/65.
Pelzner